Wie es zur Auseinandersetzung mit der Amtskirche kam - Text: Karl-Heinz Heinemann

„Wir können uns nicht mit Geselligkeitsveranstaltungen zufriedengeben, wir müssen im Gegenteil versuchen, die Geschlossenheit, in der sich die Universität gegenüber der Umwelt formiert, zu durchbrechen. Wir versuchen daher auch in unserem Programm, der Abkapselung der Studenten gegenüber der Bevölkerung, der Verengung des Horizonts auf reine Studienprobleme entgegenzuwirken.“ So begründeten wir 1967/68 unsere Arbeit in der katholischen Studentengemeinde – wir, ich erinnere mich noch an die Brüder Martin und Tomas Stankowski und Ivo Rode – die Sauerlandgruppe des bald darauf entstehenden „kritischen katholizismus“, Erika Alsdorf, Margret Middel und mich.
Zum Sommersemester 1966 fing ich mein Studium in Sozialwissenschaften und Publizistik an, und zog ins frisch gebaute „Haus Michael“ an der Marktstraße. Hier herrschte Pater Stephan, assistiert von einer Ordensschwester. „Damenbesuch“ war selbstverständlich nur bis 22 Uhr gestattet, an der Pforte saß jemand und kontrollierte. Da kam man sich schon sehr verrucht vor, wenn man jemandem in seinem Zimmer ein Nachtlager bot.
Meine Beziehung zur katholischen Kirche war damals ähnlich der zu den eigenen Eltern: eigentlich noch eng, aber ich war auf Abgrenzung bedacht. Schon vorher, in meiner Schüler-Pfadfinderzeit habe ich mich mit der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus beschäftigt, habe als 15-jährigen in Niedersachsen gegen das Konkordat und die Bekenntnisschule gekämpft, und als Pfadfinder an den ersten Ostermärschen teilgenommen. Ich las die „werkhefte“, ein ebenso kleines wie wichtiges Organ der frühen Linkskatholiken.
1968 fiel für uns nicht vom Himmel. Ich fand noch meine Stichworte zur Begrüßung von Mathias Becker, einem Autor, der damals als ehemaliger Priester ein Buch über die Macht der katholischen Kirche geschrieben hatte. Wir wollten ihn in der KSG auftreten lassen, Pater Stephan untersagte es, und so begrüßte ich ihn im Namen der Humanistischen Studentenunion, in der ich dann auch Mitglied war.
Der Höhepunkt der Auseinandersetzung mit der Amtskirche war dann ein Tag der „Anbetung für die Wiedervereinigung“ – im Glauben und natürlich auch Deutschlands. Wir verlasen damals Briefe von Kommunisten und deren Frauen, die unter dem Adenauerregime als Vertreter einer verbotenen Partei im Zuchthaus (!) saßen. Und dazu Günter Wallraff, ein junger, noch wenig bekannter Autor, der damals schon undercover „beichten“ ging, u.a. zu den Benediktinern in Maria Laach, und um Rat in seinen Gewissenskonflikten als Napalmhändler bat. Die Patres beruhigten ihn: er solle ein wenig spenden, ein guter Katholik bleiben und damit gut.
Die Presse berichtete, es kam zum Eklat, wir wurden als KSG-Vorstand abgesetzt, wir erhielten Hausverbot für die Kapellenbaracke neben der provisorischen Mensa. Der örtlich zuständige Essener Bischof Hengsbach – gleichzeitig Militärbischof – lud uns vor. Ich saß in der Audienz neben ihm, mit einem in einer Armbanduhr-Attrappe verborgenen Mikrofon und einem recht abenteuerlichen Mini-Aufnahmegerät, einer Leihgabe Günter Wallraffs (es gab noch keine Kassettenrecorder).
Die Aufnahme spielten wir später in der Uni ab. Ich erinnere mich noch, wie Hengsbach sein Verständnis für unser soziales Engagement dokumentieren wollte: Er habe sich für einen Besuch in einem sozialen Brennpunkt in Duisburg extra den VW seines Kaplans geliehen, um dort nicht mit seinem Dienst Mercedes zu provozieren. Er erzählte von den Christenverfolgungen in China, wie Priester unter Lebensgefahr Hostien in die Gefängnisse geschmuggelt hätten und ermahnte uns: Nur als gehorsame Katholiken hätten wir einen Platz in der Kirche. Wir hatten ja die Laienpredigt eingeführt – und, so erinnert sich Erika Alsdorf – ich hatte sonntags darauf in der Predigt daran erinnert, dass Adolf Eichmann sich darauf berufen hatte, er habe nur gehorsam Befehle exekutiert.
Für Martin Stankowski und andere ging dann die Auseinandersetzung mit der Amtskirche im „Kritischen Katholizismus“ weiter, dessen Start zum Essener Katholikentag 1968 übrigens auch in den Baracken der Bochumer ESG stattfand. Für mich war das das Ende der Beziehung zu dieser „totalen Institution“.
Karl-Heinz Heinemann, mit Dank für Erinnerungsstützen durch Erika Alsdorf und Martin Stankowski